„Matsukaze“ von Toshio Hosokawa, eine Neuproduktion für das „Ja, Mai“-Festival der Bayerischen Staatsoper

„Matsukaze“ von Toshio Hosokawa, Foto: Geoffroy Schied
„Matsukaze“ von Toshio Hosokawa, Foto: Geoffroy Schied

Das Festival „Ja, Mai“ (2. – 11.5.2025) widmet sich dem frühen und zeitgenössisches Musiktheater. Es wurde 2022 ins Leben gerufen und steht dieses Jahr unter dem Motto „Illlusionen“. Höhepunkt des Festivals 2025 ist neben der Opernaufführung „Das Jagdgewehr“ von Thomas Larcher die Inszenierung „Matsukaze“ von Toshio Hosokawa in der Utopiahalle (ehemals Reithalle).

„Matsukaze“ basiert auf einem Nō-Theaterstück

Der bedeutende japanische  Komponist Toshio Hosokawa wurde 1955 in Hiroshima, zehn Jahre nach dem Abwurf der Atombombe, geboren. Seine Werke zeichnen sich durch eine tiefe spirituelle Dimension aus, die stark von Zen-Buddhismus und Naturphilosophie beeinflusst ist. Seine Kompositionen vereinen westliche mit japanischer Musiktradition. „Matsukaze“ (Deutsch:  Kieferwind) ist seine dritte Oper. Das Werk basiert auf einem berühmten Nō-Theaterstück aus dem 15. Jahrhundert. Es erzählt die tragische und poetische Geschichte der beiden Schwestern Matsukaze (Kieferwind) und Murasame (Herbstregen). Beide verlieben sich unsterblich – und dies ist wörtlich gemeint  –  in den Edelmann und Dichter Yukihira. Nachdem dieser von einer Reise nicht mehr zurückkehrt, ergreift die beiden Schwestern ein tiefer Schmerz. Sie verwandeln sich in Geister, die ewig am Strand im Schatten einer einzelnen Kiefer ihr Dasein als Salzsiederinnen fristen. Hunderte Jahre später begegnet ihnen ein Mönch, dem sie, in der Hoffnung auf Erlösung, ihre Geschichte erzählen. Die mit deutschen Texten verfasste Oper „Matsukaze“ beginnt mit dem Erscheinen des Mönchs und erzählt die Geschichte der Schwestern als Rückblende.

  • Thomas Schmauser als Mönch

Fotos: Geoffroy Schied, Bayerische Staatsoper

Szenerie zwischen Traum und Wirklichkeit

Die Münchner Inszenierung des Regieduos Tobias Staab und Lotte van den Berg entwickelt eine Szenerie zwischen Traum und Wirklichkeit. Die düstere, die ganze Weite der Utopiahalle umfassende Rauminstallation der renommierten Künstlerin Alicja Kwade kommt ohne bunte Farben aus. Sie setzt die Handlung in dunkle Rahmen, arbeitet mit großen Spiegeln, Wasser- und Salzbecken. Das Orchester unter Leitung von Alexandre Bloch wird mittig im Raum platziert, während Sänger, Tänzer und Darsteller die gesamte Halle als Spielfläche nutzen.

Das Publikum ist Teil der Installation, die Besucher können und sollen sich frei im Raum bewegen, oder nach Belieben auf Stühlen, Sitzkissen oder Hockern Platz nehmen. Schnell wird klar, es kann nicht darum gehen, das Ganze zu erfassen, sondern das Seh- und Hörerlebnis ist individuell und hängt stark von der Position bzw. von der eigenen Bewegung im Raum ab. Diese Herangehensweise verlangt vom Publikum Offenheit für eine neue Musiktheatererfahrung. Die Münchner Inszenierung wird musikalisch bestritten vom Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, dem Münchener Kammerorchester und VOCES Stuttgart.

Verfremdung durch Trennung von Körper und Stimme

Als Pendant zum Maskenspiel des klassischen Nō-Theaters und sicherlich auch als Mittel der Verfremdung werden die Figuren doppelt dargestellt, nämlich als Körper und als Stimme. Dieses Konzept funktioniert sehr gut.  Seonwoo Lee und Natalie Lewis gelingt es, die anspruchsvollen Gesangspartien der Schwestern mit Bravour zu meistern. Als Bühnenfigur werden die Schwestern von den Butoh-Tänzerinnen Yumiko Yoshioka und Yuko Kaseki dargestellt. In ihren Bewegungen, Mimik und Gestik kommen vor allem Leid und Schmerz, aber auch Verzweiflung und Wahn zum Ausdruck. In der Rolle des wandelnden Mönchs ist der Schauspieler Thomas Schmauser, als Tatort-Kommissar aus Franken und als Rudolph Moshammer im Film „Der große Rudolph“ einem breitem Publikum bekannt, zu erleben. Allerdings hat er keine Sprechrolle, sondern agiert stumm und wie in Trance. Die kraftvolle Stimme kommt vom Sänger Paweł Horodyski.

Naturgeräusche umgesetzt in Musik

Die Musik von Toshio Hosokawa ist durchdrungen von Tönen und Geräuschen einer beseelten Natur. In der Oper „Matsukaze“  erzeugt das Orchester einen dramatischen Klangteppich, u.a. mit Wind- und Wassergeräuschen, Pfeifen, Rauschen, Tropfen und Prasseln.

In diesem Klangteppich bewegt, biegt und verrenkt sich der Performer Corey Scott-Gilbert in der Rolle einer Kiefer, die als Naturelement die Handlung und die Figuren der Oper von Anfang bis zum Ende beeinflusst.

Fazit: „Matsukaze“ ist ein spannendes, die Sinne und den Geist anregendes Musiktheatererlebnis. Allerdings ohne die hilfreiche Einführung durch die Dramaturgin Saskia Kruse wäre der Zugang sicherlich schwieriger.

Nach diesem Abend wäre zu hoffen, dass Werke von Toshio Hosokawa nicht nur im Rahmen von Sonderveranstaltungen zur Aufführung kommen, sondern Eingang finden in das Repertoire der Staatsoper.