Münchens kleinstes Opernhaus feiert diese Spielzeit sein 25-jähriges Jubiläum. Auf dem Programm steht eine Neuinterpretation des Orpheus-Mythos. Dabei stellte sich das Kreativ-Team um den musikalischen Leiter Andreas Pascal Heinzmann einer besonderen Herausforderung: Es ist der Versuch, drei Kompositionen, L’Orfeo von Claudio Monteverdi, Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck sowie die Operette Orpheus in der Unterwelt von Jacques Offenbach, zu einem Werk zu verschmelzen und dabei auch noch eigene Inhalten einzuweben. Das Libretto der Münchner Orpheus-Interpretation – größtenteils auch mit neuen Liedtexten – verfasste Paul Wiborny.
Sphärisches Bühnenbild
Das Bühnenbild von Claudia Weinert verortet die Handlung an einem unbestimmten Ort im Universum, umgeben von leuchtenden Himmelskörpern, die sowohl die Bühne als auch das Orchester einschließen. Die Akteure bewegen sich auf einem Rondell, das ein wenig wie eine Zirkusarena anmutet. Ein leicht schräg gestelltes stellares Ringsystem dient als weitere Bewegungsebene.
Die Liebesgeschichte nach Monteverdi und Gluck
Die Handlung beginnt mit Monteverdi und der romantischen Hochzeit von Orpheus und Eurydike. Beim Versteckspiel im Wald wird Eurydike vom Herrscher der Unterwelt Pluto getötet. Orpheus betrauert ihren Tod mit der berühmten Arie „Ach, ich habe sie verloren, all mein Glück ist nun dahin!“ aus dem dritten Akt der Gluck-Oper. Trotz neuem Liedtext und einem auf das 10-köpfige Orchester und die Stimmlage abgestimmten Arrangements zeigt Niklas Mallmann in der Rolle des Orpheus seine nuancenreiche Stimmkraft. Auch im Duett mit der Sopranistin Elif Aytekin, als Eurydike und der Mezzosopranistin Carolin Ritter als quirliger Gott Amor, überzeugt der Münchner Bariton.
Der Weg in die Unterwelt
Um Eurydike ins Leben zurück zu holen, begibt sich Orpheus in die Unterwelt. Vor dem Einlass, muss er, der Monteverdi-Vorlage folgend, nicht nur Charon, den Wächter der Unterwelt, für sich gewinnen, sondern auch den zornigen Furien trotzen.
Mit Hilfe von Lichteffekten, Computeranimation und Orchesteruntermalung wird die Bedrohung eindrucksvoll in Szene gesetzt. Lichtgestalter Jo Hübner und Videokünstler Leo Fraas unterstreichen den teilweise sphärischen Charakter der Inszenierung.
Im Hades ist der Teufel los
Nach der Pause im zweiten Teil der Aufführung treten Monteverdi und Gluck in den Hintergrund, es dominiert die schmissige Operettenmusik von Jacques Offenbach.
Zu Anfang zeigt sich die Göttergesellschaft müde und schläfrig, doch dann sorgt Jupiter, kraftvoll gesungen und dargestellt von Markus Herzog, mit reichlich Wein für Partystimmung. Die Götter feiern ein bacchantisches Fest mit Rebensaft, Fleischeslust, Musik und Tanz.
Offenbachs Persiflage der Götterwelt wird vom Ensemble mit viel Spielfreude, Witz und frecher Ausgelassenheit in Szene gesetzt.
Stefan Kastner als Plato im Teufelskostüm brillierte mit einer clownesk komischen Balletteinlage. Davon unbeeindruckt vergnügt sich seine Gattin, Fruchtbarkeitsgöttin Persephone, mit Gottvater Jupiter. Karolina Plickova in der Rolle der Persephone, in grellem Rot gekleidet (Kostüm: Johannes Geitl) gibt sich als extrovertierte und selbstverliebte Erotikgöttin. Sie flirtet nicht nur mit den Göttern, sondern auch mit Publikum und Dirigent.
Auch die Rolle des weinseligen Bacchus – besetzt mit Bariton Philipp Gaiser – ist komödiantisch angelegt. Nur schade, dass dieser vielseitige Bühnenkünstler als einziger der Götter nur im zweiten Teil der Aufführung zu erleben war.
Sven Fürst als Charon, Wächter der Unterwelt, lässt mit seinem warmen Bassbariton die dunkle Seite des Hades erkenne. Seine Offenbach-Arie „Als ich einst Prinz war in Arkadien“ ist ein Höhepunkt des Abends.
Neuer Weg für Eurydike
Im Verlauf des Festes erscheint auch Eurydike und schließt sich ohne Zögern der ausgelassenen Partygesellschaft an. Sie hat ihr irdisches Leben und Orpheus vergessen. Als dann endlich auch Orpheus auf dem Fest auftaucht, erkennt sie ihn nicht. Sie ist nicht bereit die Party zu verlassen um ihm zu folgen.
Das Ende der Geschichte entspricht keinem der drei kompositorischen Vorlagen, sondern ist eine Eigenkreation: Eurydike erhält von Amor einen Trunk, der ihre Erinnerung wiederherstellt. Doch dies ändert nichts an ihrer Entscheidung, im Hades zu bleiben und nicht an der Seite von Orpheus ins Leben zurückzukehren. Sie will nicht weiter Spielball der Götter sein und befürchtet nach ihrem Aufenthalt im Elysium nur ein Schattenleben auf der Erde führen zu können.
Ein Best-Of aus drei Kompositionen
Diese Begründung ist für den Zuschauer kaum nachvollziehbar. Zumal er eben noch Eurydike in Feierlaune und auf Kuschelkurs mit den Göttern erlebt hatte. Der Schluss zeigt aber auch eindrücklich die Schwierigkeit, die drei Musikwerke musikalisch und inhaltlich zu einem Werk zusammenzuführen. Der Münchner Inszenierung gelingt dies nur stellenweise. Es bleiben musikalische und inhaltlich Brüche. Trotz des neuen, zusammenführenden Librettos und der verbinden Funktion des Orchester-Arrangements (Jörg-Oliver Werner und Andreas Pascal Heinzmann) fügen sich die Teile nicht organisch zusammen und entsteht der Eindruck von Stückwerk.
Dessen ungeachtet, erlebte das Publikum – trotz Längen im zweiten Teil – ein amüsantes und mitreißendes Musiktheaterexperiment. Es drängt sich der Gedanke auf, ob die Orpheus-Produktion vielleicht eine Vorstufe für eine eigenständige Komposition darstellt. Das Potenzial wäre auf jeden Fall vorhanden. Das vielseitige Orchester, ein Ensemble mit großen musikalischen und darstellerischen Qualitäten und eine Produktionsleitung (Sophie Debuch & Sarah Wildenblank), die es versteht Kreativität zu bündeln, charakterisieren Münchens kleinstes Opernhaus und sind auch für die Zukunft Garant für interessantes Musiktheater.
Weitere Aufführungen
Die Orpheusproduktion ist noch bis 15.08.2023 in der Pasinger Fabrik zu sehen. Wenn das Wetter mitspielt, wird die Aufführung auch einige Tage als Open-Air-Event zu erleben sein. Die Freilichtaufführungen finden vom 27.07. bis 1.08.2023 im Innenhof von Schloss Blutenburg statt.
Weitere Infos unter: https://pasinger-fabrik.de/oper/.